Sterni über unser Album

 

Wir schicken ein dickes DANKESCHÖN an Sterni - dass er sich Zeit für unsere Lieder genommen hat und in den folgenden Zeilen seine Meinung zum Album, der erzgebirgischen Musikszene und den aktuellen Umständen mit dem interessierten Leser teilt.
Infos zu seinem musikalischen Schaffen gibt es hier: www.sterni-und-freunde.de

Rezension zum Album "Behmscher Wind" von "hERZpochen"

von Stefan Sterni Mösch  

Künstler sind gewöhnlich die Hauptleidtragenden gesellschaftlicher Krisen. Auch die zur Zeit wütende Corona-Pandemie - begleitet von einer medienwirksam aufgebauschten Virenpanik, einer radikalen Marktbereinigung, die vor allem viele mittel- und kleinständische Unternehmen in den Konkurs treiben wird sowie einer latent voranschreitenden Finanzkrise - bildet da keine Ausnahme. Die erzgebirgische Musikszene ist vom Lockdown genauso hart betroffen, wie die Kleinkünstler und Kulturschaffenden in den übrigen Regionen unseres Landes. Der Lockdown ist gerade im Begriff, die Schwächsten unserer Gesellschaft gnadenlos hinzuraffen - und die Kleinkunst als zartes phantasiebegabtes Pflänzchen gehört nun einmal zu den schützenswerten gesellschaftlichen Nischen, die auf eine öffentliche Förderung besonders dringend angewiesen sind. 
Mit ihrer kreativen Arbeit trägt sie ja ganz wesentlich dazu bei, ein harmonisches und friedliches Zusammenleben in Deutschland zu ermöglichen und eine zivile demokratische Streitkultur zu bewahren. Der Verunmöglichung öffentlicher Auftritte stellt m.E. ein Berufsverbot dar, der die Kulturlandschaft unserer Region und unseres Landes den Garaus zu machen droht. Und im Gegensatz zur Bundeswehr mit ihren Drohnen, der Lufthansa mit ihren Fliegern, dem Profifußball mit seinen hochdotierten Funktionären sowie den systemrelevanten Vieh-Massentötungsanstalten von Tönnies und Konsorten bekommen die betroffenen Künstler und Künstlerinnen wie gewöhnlich keinerlei Ausfallgelder gezahlt, geschweige denn, dass ihnen angemessene gesellschaftliche Anerkennung gezollt wird.

Umso erfreulicher ist es für mich, hier eine Online-Veröffentlichung ankündigen zu dürfen, die von kreativen Künstlern meiner Heimatregion in dieser schweren Zeit zuwege gebracht wurde – ein kleiner aber prächtiger Lichttupfer, der es verdient, die düstere Stimmung um uns herum mit neuem Licht und wohliger Wärme zu erfüllen.
Einigen kulturinteressierten Erzgebirgern dürften die Künstler bereits bekannt sein, die sich unter dem Projektnamen "hERZpochen" vor einiger Zeit zusammengefunden haben, um seit 2019 eine ganze Reihe hörenswerter Lieder zu schreiben und aufzunehmen. Dreizehn Stücke wurden für die Publikation "Behmscher Wind" ausgewählt - viele weitere interessante Lieder harren noch einer Veröffentlichung.

Wer verbirgt sich nun eigentlich hinter dem Projektnamen "hERZpochen" – einem Wortspiel, das den Begriff "Musik mit Herz" mit dem Hinweis auf die "Montanregion Erzgebirge" verbindet?

Ramona und Tobias Markstein aus Thierfeld bei Hartenstein kenne ich schon seit vielen Jahren. Ramona Markstein ist auch als bildende Künstlerin bekannt, die mit Gemälden, Fotografien, Collagen und Filmen in Erscheinung getreten ist. Als Sängerin und Ukulele-Spielerin sowie begabte Songschreiberin veröffentlichte sie mit Ehemann Tobias und befreundeten Musikern bereits einige Lieder. "HandaufsERZ" ist den Freunden der neuen erzgebirgischen Musik gewiss ein Begriff für anspruchsvolle und ehrliche Musik, die leider wie so oft im Schatten gewisser wild wuchernder heimisch-völkischer Unkräuter – Namen sollen hier nicht genannt werden - seine Blütenpracht entfaltet. Nur der aufmerksame Wanderer hat es verdient, ihr Gedeihen zu bemerken und sich an ihren Früchten zu laben. Der echte erzgebirgische Gebirgswald wächst nun einmal heimlich, still und leise zu seiner stolzem Größe empor, ohne auf reißerische Schlagzeilen und peinliche MDR-Auftritte angewiesen zu sein.

Auch der talentierte Musiker Heiko Gödel aus Dorfchemnitz bei Zwönitz ist kein unbeschriebenes Blatt. 1987 bis 2011 spielte der Gitarrist, Violinist, Songschreiber und Sänger bei der Rockband "Gideon", ehe er sich mit seinem Soloprojekt "Pochwark" eher heimatlichen Gefilden zuwendete. Doch keine Angst, der begabte Rock- und Bluesmusiker zog sich damit keineswegs in irgendwelche kommerzielle Talsohlen zurück. Seine Rockstücke dampfen förmlich vor Frische, seine Texte in erzgebirgischer Mundart atmen emotionale Tiefe und seine Balladen bestechen durch Poesie und Tiefgründigkeit. Wirklich schade, dass seine auf einer historische Begebenheit beruhende "Ballade von Christine Mothes" nicht bei der aktuellen Veröffentlichung berücksichtigt wurde.

Der durch die Fusion von "HandaufsERZ" und "Pochwark" neu geschliffene musikalische Edelstein "hERZpochen" verursacht wahrhaftig Herzpochen – natürlich im positivsten Sinne des Wortes. Beide Seiten gewannen dadurch beträchtlich an Qualität, wie die dreizehn Musikstücke nachdrücklich beweisen.

Wenden wir uns nun endlich den betreffenden Liedern zu:

Die Bluesrock-Einstiegsnummer "Maadel vom Gebersch" besticht besonders durch Heiko Gödels Bluesharp und die brillant gespielte Rockgitarre. "Gebersch" ist natürlich etymologisch dem Zwönitztal zuzurechnen, in dem sich stadtsächsische Einflüsse aus "dr Rußchams" ins Erzgebirgische einmischten. Allen "Unhießigen" sei an dieser Stelle kundgetan, dass es kein vereinheitlichtes Erzgebirgsdialekt – geschweige denn eine vorgeschriebene Schreibweise - gibt. Jedes Tal besitzt nämlich immer noch seine jeweils spezifische Sprach- und Kommunikationsweise, die hoffentlich auch die gegenwärtig stattfindende "digitale Revolution" nebst proklamiertem "Reset" überdauern wird. Und natürlich ist die erzgebirgische Sprache keine statische Sache – wie von einigen orthodoxen Traditionalisten fälschlich angenommen – sondern als in Fluss begriffener Prozess zu betrachten, der sich seit Jahrhunderten vollzieht und immer wieder neue Elemente in sich aufnimmt. Das trifft natürlich auch für die Musik des Erzgebirges zu, die in den letzten Jahrzehnten besonders vielfältige Einflüsse aus den verschiedensten Musikgenres aufsog und zur Herausbildung der aktuellen "Neuen Erzgebirgischen Musik" führte.
Doch genug der "Dialektik" – die tolle musikalische Umsetzung der Liedertexte erscheint mir noch viel interessanter. Das trifft ganz besonders auf den folgenden Track zu, der zu meinen Lieblingssongs gehört.

Wie ein Echo vom Ergebirgsgrat tönt das melodisch beeindruckende "Behmscher Wind", gesungen von Ramona Markstein, zu dem im Tale harrenden "Bossen" hinunter. Dem aus Böhmen wehendem Wind, der durch den Locktown aktuell deutlich klarer und frischer geworden ist, klagt die Sängerin, begleitet von einer "weeping guitar", ihre emotionalen Sehnsüchte. Heiko Gödels an alte City-Zeiten erinnerndes Geigenspiel verleiht der Ballade einen ganz besonderen Charme, der zum Immerwieder-Anhören animiert. "Blowin' in the Wind"....

Neckisch und salopp holt uns das Stück "Eigentlich" wieder in die Realität zurück. Trotz aller Katastrophenmeldungen, mit denen wir zur Zeit überflutet werden, zählt doch in Wahrheit "eigentlich" nur unser persönlich empfundenes "kleines Glück" - Eine Liebeserklärung, gesanglich gemeinsam vorgetragen von Ramona und Tobias Markstein.

"Sulamit", "die Friedliebende", aus dem "Hohelied des Salomos", einem der lyrischsten Bücher des Alten Testaments. 
„Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel,“ heißt es in der revidierten Luther-Übersetzung.
Die acht Kapitel umfassende erotische Dichtung sei all denen zur Lektüre empfohlen, die die Bibel und vor allem das Alte Testament lediglich für eine Abfolge von Mord und Todschlag strotzenden Geschichten, archaischen Gesetzestexten und überholten theologischen Abhandlungen halten.
Heiko Gödels Geige (ent)führt uns in eine orientalische Zauberwelt, in eine einsame Oase inmitten einer unwirtlichen Wüstenlandschaft. Dort können die aufmerksamen Hörer die süßen Früchte des Granatapfelbaumes pflücken und die Freuden der Liebe genießen - natürlich auch musikalisch.

"Beim Neddo" führt uns - intoniert von Banjo und Bluesgitarre - in den amerikanischen Süden, dem Land der Baumwollpflücker am Mississippi. Doch nur einen kurzen Augenblick lang trügt mich der worksong-orientierte Sound. Ganz schnell werde ich wieder in die "gute alte Haamit" zurückversetzt. Doch nicht auf Waldeshöhen, wo es "haamlich rauschet", sondern auf den Parkplatz eines allseits bekannten Supermarktes, auf dem das prekarisierte Lumpenproletariat eine letzte Zuflucht bei Bier, Schnaps und Zigaretten gefunden hat. Die entzauberte Welt einer auf den Konsum fixierten materialistischen Welt entfaltet sich – da kann man schon den "Blues" bekommen. Danke auch für den praktisch genutzten "KurDi-Beitel", der natürlich nicht bei einem Alkoholika-Einkauf fehlen darf, denn wie heißt es doch so schön bei Wilhelm Busch:
"Es ist ein Brauch von alters her:
Wer Sorgen hat, hat auch Likör."

"Funken aus'n Fanster" stieben beim nächsten Bluessong – und ich greif' zu meinem Tanzbeutel um ein Tänzchen zu wagen und fühle mich einen Augenblick lang an die gute alte Mokka Edel-Bar in der Affalter-"Linde" versetzt. Doch Spaß beiseite: auch dieses Stück besticht erneut musikalisch – genauso wie das feuerflammende Video.

"De letzte Schicht" – ein (ziemlich) anderes Bergmannslied. Denn "Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt" findet im Erzgebirge nur noch bei den festlich zelebrierten Knappschaftsumzügen statt. Mit der Wende wurde der Bergbau der "Wismut" beendet, ein Arbeitszweig, der jahrhundertelang eine überaus wichtige Rolle in unserer Region spielte. Dass die Arbeit im Schacht schwer und gefährlich war, wird in vielen Nostalgie geschwängerten Narrativen verdrängt – genauso wie die ökologischen Folgeschäden durch radioaktive Verseuchung und die Belastung der Umwelt mit giftigen Schwermetallen und Abfallprodukten. Nichtsdestotrotz kenne ich noch eine ganze Reihe von Kumpels, für die die "letzte Schicht" einen Verlust an Lebenssinn und alte Untertage-Freundschaften brachte – daran änderten auch die gezahlten Abschiedsprämien und Bergarbeiterrenten nichts. Und nicht nur für die Bergarbeiter wurde 1990 die "letzte Schicht" eingeläutet – auch die meisten anderen Wirtschaftszweige unserer Region wurden durch die Treuhand "fier 'n Äppel un aan Ei" verscherbelt oder gleich ganz abgewickelt. Die "Montanregion Erzgebirge" gehört heute zu den wirtschaftlich am abgehängtesten Regionen Deutschlands und ein unaufhaltsamer "Brain Drain" treibt besonders die jungen begabten Menschen in die Fremde.

Mit einem Herzpochen beginnt und endet das sentimentale "Wenn ich traam". Es überzeugt durch seinen tiefgründigen Text, der trotz seiner Wehmut keineswegs in platte weinerliche Attitüden abtriftet, sondern von der einfühlsamen Sensibilität der Songautorin und -Interpretin Zeugnis ablegt. Einsamkeit, die Erinnerung an Verlorenes, ein Gefühl von wehmütig stimmender Verlassenheit, das Verrinnen der Lebenszeit, dem langsamen aber unaufhaltsamen Rieseln des Sandes einer Sanduhr vergleichbar, unbestimmte Ängste und Hilfslosigkeit schwingen mit - aber auch die Sehnsucht, wenigstens im Traum einer als trist und sinnlos erscheinenden Gegenwart in eine wunderbare Phantasiewelt zu entfliehen. Auch das surrealistisch anmutende YouTube-Video zu dem Stück beeindruckt stark.

"Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte zehn Hörner und sieben Häupter und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern lästerliche Namen. Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther und seine Füße wie Bärenfüße und sein Rachen wie ein Löwenrachen. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Thron und große Machr." (Offenbarung 13, 1-2).
Ob mit dem gruselig-mystisch geschilderten unheimlichen "Tier", das seit Jahrhunderten in den dunklen Wäldern des heimatlichen Miriquidi sein Unwesen treibt, das apokalyptische "Tier" aus der Offenbarung gemeint ist oder irgendein anderes geheimnisvolles Killer-Monster, das sei dahingestellt. Auf alle Fälle verursacht der grungig daherkommende Heavy-Gitarrensound ein angsvoll-prickelndes Herzpochen. Der Song geht wahrhaftig unter die Haut - genauso wie das in den dunklen Erzgebirgswäldern gedrehte YouTube-Video.

Sanftes Bachesrauschen läutet die besinnliche Heimweh-Ballade "Wieder hamm" ein und beruhigt unseren zuvor in die Höhe gepushten Puls. Ohne ins Trivial-Schnulzige abzugleiten, beschreibt das Lied poetisch das "neue Gold", das im post-industriellen Zeitalter im Erzgebirge wieder vorsichtig ans Tageslicht tritt, nachdem es so viele Jahre lang verschüttet durch eine extensive Raubwirtschaft eine rudimentäre Existenz fristen musste. Heiter-besinnlich dahinplätschernd sensibilisiert uns der dargebotene Akustikgitarrensound für die Naturschönheit des Erzgebirges, die es auch in Zukunft vor ungezügelten Kapitalinteressen zu schützen gilt.

Als gebürtiger "Zschorler Mondputzer" gefällt natürlich auch das poetische "Mondlied". Ob nächtens im heimatlichen Garten sitzend oder "Verlassen in der Fremde" inspirierte der in jeden abgelegenen Winkel unserer Welt hineinlugende Mond unzählige Poeten - von Matthias Claudius bis zu Hans-Eckart Wenzel - zu lyrischen Betrachtungen. Die wunderschöne Ballade von "HERZpochen" gehört zu den besonders ergreifenden Mondliedern.

"Losst uns wieder Weihnachten feiern" ist eine Reminiszenz an Heimatdichter und -sänger Anton Günther, dem wir so viele ergreifende erzgebirgische Lieder zu verdanken haben und dessen Gedächtnis wir nicht den konservativ-heimtümmelnden Kreisen überlassen sollten.
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Das Liedgut des kleinen Grüppchens erzgebirgischer Musiker, die seit den 1990er Jahren einen neuen frischen "Erzgebirgssound" kreiert hat, wurde durch die hier vorgestellten Lieder um eine bedeutsame Facette erweitert. Wir freuen uns schon auf weitere Veröffentlichungen der Künstler – wenn möglich auch wieder einmal auf CD gepresst und mit einem Songbook versehen, damit die anspruchsvollen Texte mit- und nachgelesen werden können. Und schaut euch unbedingt die Videos auf YouTube an, die von der visuellen Kreativität der Künstler zeugen.

Glück auf und viel Erfolg.
Stefan Sterni Mösch